dokumentarisches Theater-Projekt

Blankenburg

Das ehemalige Dominikanerkloster Blankenburg gehört zu den historisch verstörendsten Orten im Oldenburger Raum. Es diente seit dem 13. Jahrhundert als Ort der Exklusion und Isolation. Sechs Kilometer außerhalb des Stadtzentrums gelegen, wurden hier die Menschen untergebracht, die sowohl körperlich als auch mental eine Bedrohung für die Stadtbevölkerung darstellten. So entstand im Laufe der Jahrhunderte eine räumliche Architektur, die mehrere hundert Menschen beherbergen und versorgen konnte. Ein eigenes Dorf der Ausgeschlossenen und ›Anormalen‹.
Bereits im Mittelalter wurde es als Lager für Pestkranke genutzt, im 17. und 18. Jh. für ›Wahnwitzige, Tolle und Rasende‹, und erhielt später die Bezeichnung ›Siechen- und Irrenhaus‹. Im 20. Jahrhunderts wurde das Gelände um zahlreiche Gebäude erweitert und als psychiatrische Anstalt weitergeführt. Von 1935-37 wurde es ein SA-Arbeitslager mit systematischen Euthanasie-Aktionen, gegen Ende des 2. Weltkrieges ein Lazarett und nach 1949 Altenheim und psychiatrische Einrichtung. Nach der Psychiatrie-Befreiung in den 1980er Jahren diente das Gelände als Aufnahme-Einrichtung für DDR-Bürger, Übersiedler und bis 2008 für Asylsuchende. Die Architektur des Geländes hat sich stets den jeweiligen Notwendigkeiten angepasst, wurde inhaltlich jeweils neu definiert und damit auch gedanklich überschrieben.

Gemeinsam mit dem Oldenburgischen Staatstheater hat werkgruppe2 ein dokumentarisches Theaterprojekt erarbeitet, das die Geschichte des Ortes anhand von Geschichten der Bewohner wiederbelebt. Über die Erzählung der historischen Fakten anhand von Zeitzeugen-Aussagen, fragt das Projekt nach der Bedeutung des Ortes für jeden einzelnen der Bewohner und letztlich für jeden der Zuschauer.

Mit: Imme Beccard, Caroline Nagel, Franziska Schubert, Eike Jon Ahrens, Thomas Lichtenstein, Henner Momann
und dem Kinder- und Jugendchor des Oldenburgischen Staatstheaters

Inszenierung: Julia Roesler

Recherche und Textfassung:
Julia Roesler, Silke Merzhäuser


Bühne: Thomas Rump

Kostüme: Dorothea Hoffmann

Video: Isabel Robson

Musik: Insa Rudolph

Dramaturgie: Silke Merzhäuser, Matthias Grön

Fotos: Andreas Etter

Premiere: 19. Juni 2014, Oldenburgisches
Staatstheater Probenzentrum

Weitere Vorstellungen:
24./25./28. Juni
1./3./10./11./17./18. und 23. Juli 2014, 20 Uhr

„Im Raum verteilt stehen Doppelstockbetten, Rollstühle, Kirchenbänke, darauf sitzen Schauspieler jeweils mit einer großen Holzpuppe und schlüpfen nach und nach in die Rollen von Pfleger, Patienten und Asylbewerbern. Der Zuschauer fliegt förmlich durch die Jahrzehnte!“
Deutschlandradio Kultur, Katja Weise

„Beklemmend ist die Atmosphäre des Stückes, das vom Oldenburgischen Staatstheater und der Göttinger Werkgruppe 2 geschaffen wurde. (…)Das Autorenteam hat Interviews mit Zeitzeugen geführt und kann so vor allem die vergangenen 70 Jahre der abgeschotteten Einrichtung lebendig werden lassen. Alle Aussagen, die Grundlagen für das Stück, wurden auf mehr als 1.000 Seiten haargenau transkribiert. In geradezu brutaler Offenheit wird besonders der Psychiatrie-Standard der Nachkriegsjahrzehnte beschrieben: Zwangsfixierungen, Gewalttätigkeit gegen Patienten, und die entwürdigenden sogenannten Abführtage. Wie haben Ärzte und Pfleger diesen Alltag verkraftet? Das Stück lässt ahnen, dass sie ihn nicht verkraftet haben. Das macht auch Thomas Liechtenstein in der Rolle eines Pflegers deutlich. (…) Zu ausgelassenem Applaus lädt das Stück nicht ein. Aber das Premierenpublikum würdigte die hautnah erlebte Qualität von Textauswahl, Regie, Darstellern, Chor und Ausstattung.“
Radio Bremen, Gerhard Snitjer

„So wiederum wird ironischerweise die Ausgrenzung des Publikums aus „Blankenburg“ für die Dauer der Aufführung erneut vollzogen, so wie jahrhundertelang unzählige Insassen darin von der Gesellschaft hermetisch ausgegrenzt wurden….. Die Trennung zwischen Aufpassern und Patienten, zwischen Drinnen und Draußen, zwischen Irrsinn und Normalität erweist sich dabei durchaus als porös. Und ein bisschen immerhin auch die zwischen Bühne und Publikum: Das sitzt auf Blankenburg-Mobiliar, einige Zuschauer werden zwischendurch in Abführstühle gesetzt und in einer Reihe aufgestellt.
In einer der intensivsten Szenen spielt das sechsköpfige Ensemble gar komplett verrückt, streift mit irrlichternder Anmut durch den Saal, ganz nah an uns heran, streckt die Hand nach uns aus, die wir ja zweifellos nicht in dieses Blankenburg gehören. Oder doch? Denn was (oder wer) produziert eigentlich regelmäßig, wenn nicht systematisch, diese dysfunktionalen Menschen, derer sich die Gesellschaft immer wieder zu entledigen sucht? Könnte es nicht doch jeden treffen, theoretisch wenigstens? (…)Insofern wirft „Blankenburg“ wichtige Fragen auf, die weniger die Zukunft eines einstigen Klosters im Oldenburgischen betreffen – vor allem nämlich die, warum es Orte so ähnlich wie diesen bis heute gibt. Bloß als Theater funktioniert das leider nur eingeschränkt: Je mehr wir von Blankenburg erfahren, desto mehr fehlt die Präsenz des Ortes. Vielleicht liegt auf diesem Blankenburg ja doch ein Fluch.“
nachtkritik, Andreas Schnell

„Blankenburg“ ist auch ein ungewöhnliches Theaterprojekt, das eine verdrängte Geschichte ans Licht zerrt, informiert und obendrein bestens unterhält.(…) Die Frage bleibt, warum hat da vorher nie jemand hingeschaut hat. Aber jetzt kann man hingucken. In „Blankenburg“. Unbedingt!“
NWZ, Regina Jerichow

eine Produktion von werkgruppe2 und dem Oldenburgischen Staatstheater

gefördert durch den Sonderfonds Theater im öffentlichen Raum des Fonds Darstellende Künste, der Stiftung Niedersachsen und der Oldenburgischen Landschaft